Lingener Tagespost, Margrit Lehmkuhl-Wiese, vom 07.05.2017
 

Gespannte Aufmerksamkeit herrschte im Publikum, wie die angekündigte Performance „Trio trifft Zeichenkünstler, live gezeichnete Bilder treffen auf Chansons“ wohl das Bild der Großstadt Berlin zu einer Zeit großer Umbrüche am Anfang des 20. Jahrhunderts in die weit westlich gelegene Gemeinde Emsbüren von heute zu transportieren vermag. Zu einer Zeit- und Raum-Reise unter dem Titel „Ein rätselhafter Schimmer“ hatte der Kulturkreis Kirchspiel Emsbüren in den Hotelsaal Everding eingeladen. Auf der Bühne standen Robert Nippoldt am Zeichentisch sowie die Münsteraner Christoph Koop (Bass), Philipp Ritter (Klavier) und Lotta Stein (Gesang). 

Auf Leinwand projizierte Bilder und Infokarten 

Eröffnet wurde der Abend mit dem Chanson „Willkommen im Cabaret“ und die Zeitreise begann mit dem bekannten Eröffnungslied des Films „Cabaret“, kombiniert mit auf eine Leinwand projizierten Bildern und Infokarten. Geschichtslektionen, Zeichnungen entweder schon vorgefertigt oder direkt im Entstehen gezeigt, das gab vor, was in den folgenden eineinhalb Stunden zu sehen war. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ begleitet von dem Entstehen eines Marlene Dietrich Bildes, Scherenschnitte aus einer Hafenstadt kombiniert mit dem Lied „Und ein Schiff mit acht Segeln“ der Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper, Richard Heymanns „Irgendwo auf der Welt gibt es ein kleines Stückchen Glück“ vor dem Hintergrund sozialer Konflikte der Zeit, sein „Ein Freund, ein guter Freund“ collagiert mit visuellen Eindrücken von Freundschaft, die Entstehung von Tonfilmen, eingespielt durch Textausschnitten und Filmtiteln im Bildnerischen und einer Geräuschkulisse aus Charles Ambergs „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“ im Musikalischen.

Zeitreise klappte

Ja, die Zeitreise klappte und man sah mitsingende und mitswingende Zuschauende im Saal, fast wie im Berliner „Wintergarten“. Die Zeit der 20er-Jahre konnte lebendig werden, weil sie schon im kollektiven Gedächtnis der Menschen vorhanden ist. Mit Hilfe der Montagetechnik gelingt die Poetisierung der Großstadt, der Zeit und der Erinnerung.

Ton der 20er-Jahre getroffen

Spazieren durch Raum und Formen, da grüßen die Dadaisten und Montagetechniker mit ihrer Kunst der Zerstörung des geschlossenen, linearen Kunstwerks und Aufbau eines Mosaiks sozialer und künstlerischen Fragmente, um den Zeitgeist einzufangen. Auf diesen Spuren wandeln Nippoldt und das Trio Größenwahn mit dem scheinbar absichtslosen Flanieren durch Bilder, Lieder und Zeitgeist und treffen dabei den Ton der 20er-Jahre, der bis heute lebendig ist.

Noch Luft nach oben

Es hätte mehr sein können, war einfach zu kurz. Am Ende der Veranstaltung waren nach großem Beifall mehrere Zugaben zu hören; mehr Lieder, mehr Eindrücke, mehr Performance – was zeigt, wie lebendig die Zeit geblieben ist. Für die Künstler ist noch Luft nach oben. Die ausgewählte Zeit ist so vielfältig, die sozialen Entwicklungen so differenziert, die künstlerischen Formen so fragmentiert, da ist noch viel mehr Spielraum. Davon zeugt auch die noch lang andauernde anschließende Diskussion mit den Akteuren und den Zuschauern. Aber auch das würden die Künstler von damals gerne gesehen haben. Alles ist eben im Fluss.